Bildungsraum
Stadt
Straße als Bildungsort
Faried Abdel-Moati / Najda Delic
Ein Verwandlungsbuch
Die Straße als alltäglicher Ort für alle wird auf seine Qualitäten und Potenziale als Bildungsort hin überprüft und mithilfe von Gedankenexperimenten neu interpretiert. Der Schulweg wird zu einem zentralen Thema für die Projektgruppe. Gehgemeinschaften werden in Varianten gedacht und räumliche Umsetzungsideen entwickelt.
Fotos: Ekaterina Winter
„Für die Kinder bedeutet der Schulweg nicht nur die Bewegung von A nach B, sprich, von zuhause zu der Schule oder von der Schule zurück nachhause. Sie erleben komplett neue Situationen und machen dabei eine Menge Erfahrung. Wenn sie zu Fuß oder mit dem Fahrrad diese Wege absolvieren, lernen sie ihr Umfeld besser kennen. Die Orte, wo sie sich aufhalten, werden zu bekannten „Inseln“ in einem unbekannten Gewässer. Die Verbindung dieser Inseln ist jedoch für die Orientierung und die Entwicklung der Selbstständigkeit der Kinder sehr wichtig.
Das Konzept der Gehgemeinschaften bietet die Möglichkeit, dass Kinder Erfahrungen mit dem Umfeld machen. Die neuen Wege, die im Nordbahnviertel entstehen, bieten hierzu die Möglichkeit. Auch wenn die Straße keine Bildungseinrichtung ist, kann sie als Bildungsraum gelesen werden, weil viele Tätigkeiten, die von Menschen erlernt werden müssen, hier beobachtet und vollzogen werden. Die Straße wird als Ort für informelle Lernprozesse ersichtlich und kann unterschiedliche Qualitäten aufweisen. Um die Lernprozesse, die auf der Straße stattfinden können zu beschreiben, muss uns bewusst sein, dass sie als Ort der Positionierung, Begegnung und Kommunikation, wahrgenommen wird. Sie dient somit den „Nutzern“ als Raum für kulturellen Austausch.
Um diese Qualität zu verstärken, wird mit der Idee der Gehgemeinschaft, der generationsübergreifende Austausch gefördert. Personen, die sich über soziale Netzwerke verbinden, können sich an festgelegten Stationen treffen um gemeinsame Wege zu gehen und sich dabei über bestimmte oder unbestimmte Themen austauschen. Die Fortbewegung als Gruppe benötigt dementsprechende Straßen und Verbindungen, die zwar aus verkehrsplanerischer Sicht einige Schwierigkeiten darstellen könnten, jedoch eine Aufwertung des Gebietes aus raumplanerischer Sicht bieten würden. Mehr Grün- und Aufenthaltsflächen, die auch als Stationen und Treffpunkte dienen, müssten geplant und umgesetzt werden. […]
Neue Wege führen zweifellos zu neuen Arten von Bewegung und Verhalten der Bewohner, was zur Folge eine neue Art von Generierung beziehungsweise Schaffung von Wissen hat. Das Übliche, Gewohnte und Selbstverständliche für viele Kinder ist der Schulweg, indem sie von Ihren Eltern mit dem Auto in die Schule gefahren werden, wobei sie nur wenig Neues sehen und kennenlernen. Das ist die übliche Routine. Die „Gehgemeinschaften“ die entstehen könnten, bilden für alle Betroffenen eineAbweichung zum Vertrauten. „Mit Fremden zur Schule gehen“ weckt die Neugier und führt zu mehr Austausch und Kommunikation, Beobachten und Erfahren, Handeln und Mitdenken. Wenn dies, was in der Gesellschaft zunächst als fremdes Ereignis, von immer mehr AkteurInnen oder einer bestimmten sozialen Gruppe als neue Normalität anerkannt wird, und sich zeitlich als zukunftsweisend beweisen kann, weil es zu weniger Verkehr, mehr Austausch, mehr sozialer Interaktion und mehr Sicherheit für Kinder führt, kann es als wertvoll erfahren werden und kann somit als eine Verbesserung des Bestehenden verstanden werden.“ (Faried Abdel-Moati, Najda Delic)